Waldleitbild für den Stadtwald Stutensee – Vergleich mit Eggenstein-Leopoldshafen
Die Stadt Stutensee lädt alle Bürgerinnen und Bürger ein, aktiv an der Neugestaltung des Stadtwalds teilzunehmen. Noch bis Anfang August läuft eine kurze Online-Umfrage, mit der Ihre Meinung einfließt.
Die Erstellung eines Waldleitbilds für den Stadtwald Stutensee wurde Oberbürgermeisterin Becker von Diplom-Forstwirt Volker Ziesling bereits vor 4 Jahren bei einer Lachwaldbegehung vorgeschlagen. Sein Angebot der kostenlosen Mitarbeit wurde jedoch nicht angenommen.
Egal ob Sie joggen, mit Hund oder Familie spazieren gehen oder sich einfach nur erholen – jeder Blick auf den Wald ist einzigartig. Darauf aufbauend soll ein Waldleitbild entstehen, das festlegt:
• Wie das Waldgebiet künftig aussehen soll
• Welche ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Funktionen Priorität haben
• Ob Holzernte oder Naturschutz stärker gewichtet wird
Wegen knapper Kasse beschloss der Gemeinderat eine kompakte Bürgerbeteiligung. Dafür steht ab sofort ein Online-Fragebogen bereit: survey.lamapoll.de/Stadtwald Stutensee
In den Nachbargemeinden ist ein Waldleitbild längst üblich, wie z.B. in Eggenstein-Leopoldshafen. (Bitte hier oder Bild anklicken, um den Bericht des Gemeinderats Egg.-Leo. vollständig zu lesen)
Ein Leitbild muss jedoch auf der strikten Einhaltung gesetzlicher Vorgaben, Schutzbestimmungen und nachhaltiger Bewirtschaftungsgrundsätze basieren. Genau daran fehlt es in Stutensee seit Langem, wie folgende Chronologie zeigt:
1. 2017/2018: Kahlschläge im Schonwald Lochenwald
– Trotz Schonwaldstatus (Reservat mit Schutz besonders wertvoller Waldgesellschaften) genehmigte der Gemeinderat Stutensee Kahlschläge auf insgesamt 3 Hektar – dreimal so viel wie die gesetzliche Höchstgrenze von einem Hektar.
– Statt der entsprechend der Schonwald-Verordnung vorgeschriebenen natürlichen Verjüngung kamen sofort Baumschulpflanzen zum Einsatz.
Fotos: Obere Reihe Google Earth, unter Reihe Lachwald-erhalten
2. 2018/19: Überschreitung des Rahmens der Forsteinrichtung
– Im Lachwald wurden im Rahmen einer Durchforstung auf einen Schlag mehr Bäume gefällt, als der gesamte Zehnjahresplan für 2017–2026 vorsah. Bereits zuvor sowie danach wurden Bäume gefällt.
– Rücksichtslos wurden auch Lebensräume entfernt, obwohl diese bereits deutlich sichtbar als Biotopbaum bzw. Habitat gekennzeichnet waren; später wurde in der öffentlichen Gemeinderatsitzung anlässlich der Vorstellung der Waldschutzkonzeption kundgetan, dass der Lachwald nicht schützenswert sei. Ein Affront gegen die Wähler:innen für den Erhalt des Lachwalds im Bürgerentscheid sowie Beschönigung von naturschutzrechtlichem Unrecht.
Alle rot markierten Bäume gibt es heute nicht mehr
3. 2019/20: Bodenverdichtung in der Büchiger Hardt im Landschaftsschutzgebiet
4. 2020/21: Verkehrssicherung als Vorwand
– Unter dem Totschlagargument „Verkehrssicherung“ fällte man trotz bereits vorhandener Überbewirtschaftung rund 80 % gesunder Buchen im Lachwald. Ein Gutachter belegte, dass die meisten Stämme kerngesund waren.
5. 2021/22: Fällungen trotz FFH- und Schonwaldschutz
– Alte dicke Eschen und Buchen fielen dem Einschlag zum Opfer; da der Stadtwald nicht FSC zertifiziert ist, konnten sie teilweise nur als Brennholz vermarktet werden.
6. 2022/23: Ablehnung des Förderprogramms „Klimaangepasstes Waldmanagement“
– Unser Vorschlag für einen schonenden Waldumgang mit Kahlschlagverzicht wurde vom Gemeinderat mehrheitlich abgelehnt – trotz nachweislicher ökologischer und finanzieller Vorteile, die von der Stadtverwaltung nicht gewollt und mit falschen Daten und Fakten untermauert wurden.
7. 2023/24: Weitere Kahlschläge im Natura-2000-Lebensraum Lochenwald
– Drei weitere Kahlhiebe festgestellt, jeder unter einem Hektar, darunter ein besonders wertvoller Feuchtwald Biotop nach § 30 BNatSchG, wurden zerstört: Waldboden mit tonnenschwerer Forstmaschine ganzflächig zerfahren, Biomasse komplett entfernt und wieder Baumschulpflanzen gesetzt – obwohl reichhaltige Naturverjüngung vorhanden war.
8. 2024/25: Zerstörung eines Biotopschutzwalds am Waldrand Stadtteil Blankenloch
– Eine angeblich alte zugewachsene Rückegasse mittig im Biotopschutzwald wurde freigeräumt und die Strauchschichten vernichtet, obwohl dies im Biotop nicht erlaubt ist und weitere Rückegassen außerhalb vorhanden sind. Ein beantragter Gesprächs-Austausch bei der Unteren Forstbehörde wurde von der Stadt Stutensee als „entbehrlich“ abgelehnt. Einfach grandios, wenn man aus Fehlern nichts lernen will.
Unabhängig von den zahlreichen Vorfällen in der Waldbewirtschaftung ist für das Waldleitbild ein zentraler Umstand entscheidend:
Wie viel Holz steht eigentlich auf einem Hektar Wald?
• Landesdurchschnitt Baden Württemberg: 365 Fm/ha
• Stadtwald Stutensee (Zwischenprüfung 2022): 231 Fm/ha
Das bedeutet: Stutensee verfügt pro Hektar über rund ein Drittel weniger Holzvorrat als der Landesdurchschnitt. Seit 2022 sind weitere Holzernten erfolgt, wodurch die Lücke sogar noch deutlicher wird – zumal die jüngste Bundeswaldinventur einen Zuwachsrückgang infolge der Trockenjahre dokumentiert. Eine solche Entwicklung untergräbt die Nachhaltigkeit des Stadtwaldes und sollte bei der Beantwortung der Fragen zum Waldleitbild dringend berücksichtigt werden.
Können die o. a. Bewirtschaftungsfehler vermieden werden?
Sicherlich, wie der Artikel des Gemeinderats von Eggenstein-Leopoldshafen beim Nussbaum-Verlag zeigt. Der dortige Waldumgang wurde vollständig geändert. Nach jahrelanger intensiver Forstwirtschaft wurde diese in den Background gedrängt.
Hierzu Details über die dortigen Waldnaturschutzkonzepte:
Eggenstein-Leopoldshafen ist zu etwa 39 % bewaldet. Im Herbst 2023 wurde eine kommunale Waldnaturschutzkonzeption für den Gemeindewald beschlossen. Dies wurde in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Technik am 8. Oktober 2024 unter Tagesordnungspunkt „Waldleitbild und Waldnaturschutzkonzeption für den Gemeindewald“ diskutiert. Das Waldnaturschutzkonzept soll Teil eines neuen, ganzheitlichen „Waldleitbildes“ werden.
Ziele und Grundsätze:
Nach Angaben der dortigen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthält die Konzeption klare ökologische Leitlinien: Die kommerzielle Holznutzung wird auf ein ökologisch sinnvolles Maß beschränkt, während Totholz, alte Habitatbäume und so genannte „Waldrefugien“ als wichtige Lebensräume bewusst erhalten bleiben. Ziel ist vor allem der Klima- und Biotopschutz: Artenvielfalt und natürlicher Waldcharakter sollen gestärkt werden, ohne die Erholungsfunktion für die Bevölkerung einzuschränken. Das Konzept lässt die Versorgung der Bevölkerung mit Brennholz grundsätzlich zu, betont aber, dass zukünftig mehr Alt- und Totholz im Wald verbleiben soll.
Maßnahmen und Pflegeschwerpunkte:
Konkret sieht die Konzeption u. a. vor:
• Extensive statt intensive Waldbewirtschaftung: Beschränkung der kommerziellen Bewirtschaftung auf ein ökologisch sinnvolles Maß.
• Totholz und Altbäume: Belassen von Altholz (stehend und liegend) im Bestand und Ausweisung von Habitatbaum- bzw. Refugienbereichen. (Stilllegung der Holzernte)
• Schonung seltener Arten: Schutz seltener Waldarten und ihrer Lebensräume durch besondere Rückzugsflächen.
• Biotopvernetzung: Vernetzungsmaßnahmen zu angrenzenden Naturschutzflächen (z. B. Schaffung von Waldrandstrukturen und Gehölzstreifen) ergänzen das Konzept – als Pendant zum Feldflur-Biotopverbund.
• Klimaangepasster Waldumgang: Förderung klimastabiler Mischbestände, Anpassung an Trockenheit und Schädlinge – im Sinne der fortschreitenden übergeordneten Waldschutzkonzepte von Baden-Württemberg.
Diese Punkte entsprechen der Landesstrategie Waldnaturschutzkonzeption 2030, auf deren Vorgaben auch die kommunale Planung aufbaut. Die Landesforstverwaltung fordert generell einen hohen Totholzanteil und lockere Waldstrukturen als Schutz für Flora und Fauna. Eggenstein orientiert sich daran durch sein eigenes Konzept und das neue Leitbild.
Schutzgebiete im Gemeindewald:
In Eggenstein-Leopoldshafen liegen mehrere geschützte Waldgebiete, die für das Konzept relevant sind. Ein bedeutendes Beispiel ist das Naturschutzgebiet „Altrhein/Kleiner Bodensee“, das (mit etwa 129 ha) zu Eggenstein-Leopoldshafen gehört. Es handelt sich um ein typisches Auenwaldgebiet mit ausgedehnten Röhricht- sowie Hart- und Weichholzauenwäldern, Heimat vieler gefährdeter Pflanzen- und Tiergemeinschaften. Ebenfalls Teil des Gemeindewaldes ist das große FFH-Gebiet Hardtwald (6916-342) nördlich von Karlsruhe, in dem Eggenstein-Leopoldshafen Anteile hat. Dort gilt, dass etwa 50 ha als Naturschutzgebiet ausgewiesen und fast der gesamte Rest als Landschaftsschutzgebiet steht. Die Waldkonzeption berücksichtigt diese Schutzgebiete: Pflege- und Eingriffsmaßnahmen müssen mit den Vorgaben der Schutzgebietsverordnungen und Pflegepläne abgestimmt sein.
Dokumente:
Die vollständige offizielle Konzeption liegt der Öffentlichkeit hauptsächlich in Form von kommunalen Beschlussvorlagen und Fachberichten vor. Beispielsweise kündigt die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung den Punkt „Waldnaturschutzkonzeption“ an. Aussagen über Ziele und Maßnahmen finden sich in den Begleitinformationen (z. B. Fraktionsreden) sowie in allgemeinen Forstkonzepten des Landes. Konkrete Dokumente (z. B. PDF-Leitfäden) werden auf der Gemeindeverwaltungs-Website zum Download angeboten (z. B. neues Waldleitbild), sind aber in der Literatur nicht einzeln zitiert. Der heutige Bürgermeister von Eggenstein-Leopoldshafen, Lucas Lang, war langjähriger Mitarbeiter bei der Stutenseer Stadtverwaltung und unterstütze die Einbringung Gründer Kernelemente in die neuen Waldnaturschutzkonzepte.
Quellen:
Die o.a. Informationen stammen aus öffentlichen Vorlagen und Berichten der Gemeinde Eggenstein-Leopoldshafen sowie überregionalen Naturschutzpublikationen. Hervorzuheben sind die Beschlussankündigung des Gemeinderats, Ausführungen der lokalen Grünen-Fraktion und offizielle Naturschutzbeschreibungen (NSG Altrhein; FFH Hardtwald) zur Veranschaulichung der Schutzgebiete.
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In ihrem ersten gemeinsamen Buch zeigen sie anschaulich den Wald als hochkomplexes Netzwerk aus Bäumen, Tieren, Mikroben und Pilzen, das Klima, Wasserhaushalt und Kultur prägt. Mit aktuellen Forschungsergebnissen und opulenten Bildern regen sie dazu an, unseren Umgang mit dem Wald zu hinterfragen und ihn nachhaltig zu bewirtschaften.
Nachfolgend weitere Beiträge auf Focus-Online von Pierre Ibisch
(bitte jeweils das Bild anklicken)